Aber zurück zu meinem Frühstück, meinem Postfach und der Einladung, ja, zur Einladung. Ich brauchte ja immerhin zwei Zigaretten und mindestens zwei Tassen Kaffee, um sie durchzulesen! Diese Einladungen von Herrn Burgy Zapp haben es eben in sich.
Ein Artikel von Philipp Koch
ein Spaziergang über den 10. Künstlersalon Berlin
Im Spätsommer war es endlich wieder soweit. Ich öffnete bei meinem bevorzugten Frühstück – schwarzer Kaffee und Zigarette, ungesund, ich weiß – mein Postfach und da war sie, die Einladung zum X. Künstlersalon Berlin. Künstlersalon, das hört sich ja erst einmal etwas hochgestochen an, nach Spinett, halb verhungerten Literaten und Malern, etwas bleichen höheren Töchtern und – wenn wir es ins heute verschieben – sozial eingestellten, ökologisch korrekten Lehrerinnen und Buchweizenkeksen. Glauben sie mir, zu solch einem Salon würde mich nur meine Agentin hinkriegen, wenn sie da Geld für uns herausspringen sieht. Der von Herrn Burgy Zapp (man verzeihe mir diese etwas förmliche Anrede) initiierte und organisierte Salon sieht anders aus. So gänzlich anders, dass es fast einer richtigen Erzählung bedarf, Ihnen, lieber Leser, den richtigen Eindruck zu vermitteln. Es gibt ja in Deutschland diesen (fatalen) Hang zur objektiven Berichterstattung. Ich – entschuldigen Sie – scheiße darauf. Ich halte es lieber mit Hunter S. Thompson (den meisten von Ihnen wohl nur ein Begriff durch die Literaturverfilmung „Fear and Loathing in Las Vegas“) und dem von ihm aus der Taufe gehobenen Gonzo Journalism. Radikale Subjektivität. What else?
Aber zurück zu meinem Frühstück, meinem Postfach und der Einladung, ja, zur Einladung. Ich brauchte ja immerhin zwei Zigaretten und mindestens zwei Tassen Kaffee, um sie durchzulesen! Diese Einladungen von Herrn Burgy Zapp haben es eben in sich. Da wird der letzte Salon besprochen, die „Kunstbewegung“ in ihren Eckpunkten erklärt, das Programm vorgestellt, und – endlich! – eine verbindliche Kleiderordnung festgelegt. Diese so sinnvolle Neuerung (Meine Damen und Herren! Erscheinen sie in Abendgarderobe – oder nackt!, um es einmal überspitzt zu beschreiben) ließ sich zwar nicht ganz durchsetzen, machte aber doch einen Unterschied aus. Der X. Künstlersalon war für mich persönlich der zweite, also kann ich nur aus einem begrenzten Erfahrungsschatz sprechen und doch scheint mir eins heute, wo ich hier (im Übrigen wieder beim Frühstück, und ja, es gibt Zigaretten und schwarzen Kaffee) sitze, sicher zu sein: kein Salon gleicht dem anderen. Gut besucht, das einmal vorweg, waren sie Beide. Während der erste, den ich die Ehre hatte zu besuchen, jedoch nach einem Alkoholexzess meinerseits (Vodka Martinis, ich brachte mir zur Vorsicht das passende Glas selbst mit, ich bin Ästhet) langsam zu einem intimen, engen, plüschigen, anregenden und mit guten Gesprächen gespicktem Salon des Arts (ich traf: Filmemacher, Schriftsteller, Maler, Musiker, Photographen usw.) wurde, sollte der X. eine andere, doch ganz eigene Qualität entfalten. Sie stehen nun natürlich da und wedeln mit ihrem Finger in der Luft herum und näseln „nee, nee, nee“ – kommt doch drauf an was du draus machst. Sehr schön Lieber Leser, aber sorry, die Umgebung bestimmt den Takt, sie wirkt auf uns zurück (und wenn es Beethovens Neunte ist!).
Der IX. Künstlersalon, soviel sei verraten, bevor Sie sich auf die Reise durch diese Nacht mit mir begeben, gefiel mir außerordentlich gut (mag am Vodka gelegen haben, aber es war definitiv ein schönes Fest), so dass ich voller Vorfreude meine kleine Galerie zuschloss, zwei Flaschen vino rosso unter dem Arm und Nelke im Knopfloch die Veteranenstraße hoch schlenderte. Kleider machen ja Leute (man lese G. Keller zu diesem Thema), das heißt am Ende auch: man spielt sich in der Kleidung die man trägt. Und genießt Augenzwinkernd die bewundernden, verwirrten, anmaßenden, begehrenden Blicke, die man anzieht, wenn man sich denn einmal anzieht. So war ich denn nicht nur gut gelaunt, sondern – wie immer – auch ein wenig zu früh. Berlin ist ja für einiges bekannt, Pünktlichkeit ist allerdings keine Tugend seiner Bewohner. So hatte ich aber (immerhin nicht der 1.) Zeit, mich wieder etwas mit den Räumlichkeiten vertraut zu machen, noch einmal durch die private Ausstellung der Künstler des Künstlersalons zu gehen, ohne weiter gestört zu werden. Man muss sich das so vorstellen: eine Berliner Altbauwohnung, dreieinhalb Zimmer, in Petersburger Hängung teils bis zur Decke voll gehängt mit Kunstwerken aller Art, jeglichen Stils, unterschiedlichster Couleur und Qualität. Dieser Moment der Ruhe wurde jäh unterbrochen – man verliert sich in leeren Räumen ja nicht, man trifft sich. Der Gastgeber, den ich im Folgenden nur noch Herrn Z. nennen möchte, Herr Z. also taucht auf und wir ab in ein Gespräch, dann stellt er mir zwei der besonderen Protagonisten dieses Abends vor.
Mit einem Glas in der Hand – ich hatte noch schnell etwas zu trinken aufgegabelt – erzählte er mir von seiner Idee, den Künstlersalon dokumentarisch zu begleiten, aufzuzeichnen. Der Regisseur (Alex) war schon beim letzten Mal da, ich erinnerte mich. Das Mädchen neben ihm war neu. Und eine Erscheinung. Fast wollte man hinlangen und sie anfassen, vielleicht in den Arm kneifen, gern auch woanders hin, aber ich bin schüchtern. Dunkelhaarig, blaue Augen, kein wirklich schönes, ein eher zartherbes Gesicht mit zu großem zu vollem Mund, dabei groß und mit einem echt guten Körper bewaffnet. Ja, ja, solche Mädchen gibt es viele, aber die war purer Sex. Das macht es einem nicht einfach – man will nicht unbedingt mit so einem Mädchen reden, man will mit ihr schlafen. Ich glaube für uns Männer ist das schon arg – für sie muss es noch schlimmer sein. Man gerät ja nur allzu leicht an den falschen (im Übrigen war sie wirklich, echt, ich hatte sie irgendwann im Arm). Sie müsste ich dringend mal in einer Aufnahme sehen. Wenn sie dieselbe Präsenz auf der Leinwand hat wie dort an jenem Abend, kann aus ihr noch einmal zumindest eine Bekanntheit werden – wenn Berlin, dieser gefräßige Moloch, sie nicht verschlingt.
Als endlich einige Besucher mehr eintrudelten, hielt Herr Z. eine Ansprache – wie immer im Überschwang, wenn ich mich recht erinnere recht kurz, dafür bedingungslos und mit Charme. Er hatte ja obendrein noch Geburtstag, den dreißigsten, ein seltsames Datum, von dem immer so schlecht gesprochen wird, der sich aber – nicht nur bei mir, der ich einen Monat vorher dran war – als Moment der Wendungen, der Möglichkeiten, des Aufbrechens entbarg, ein Alter also, zu dem ich aus meiner persönlichen Erfahrung her (lang ist sie ja nun noch nicht) immerhin raten zu meinen kann. Die Führung durch die Petersburger Hängung sparte ich aus, dies ist etwas, was ich mit Herrn Z. einmal in Ruhe machen möchte, nicht so en passant, im Gewusel. Falls sie die Ehre haben sollten, geladen zu werden: schauen sie sich die Photographien von Petra Gregorovic über dem Kühlschrank an. Sie haben bei mir wieder einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Ich möchte Sie nicht mit zu vielen Einzelheiten nerven, daher eine Kurzfassung meiner nächsten Begegnungen: ein Immobilienhändler im Smoking, eine blonde Hutmacherin, eine mich um mindestens einen Kopf überragende Künstlerin (wenn ich mich recht erinnere recht vielseitig, von Malerei bis Schreiben, mich gruselt das immer ein wenig). Wenig später tauchte der innere Zirkel meines Filmteams auf. Ja, verdammt, auch ich bin Künstler, wenn auch eher Schreiber denn irgendwas anderes. Das mit dem Film ist eine meiner Geschichte – und ich wurde mehr zum Chef, als das ich das so plante (ich liebe meine Ruhe – und das wurde Stress ab irgendeinem Punkt). Zu diesem Zeitpunkt war das Buffet belagert, der Wein floss in Strömen (entschuldigen sie die Redewendungen, sie passen nun einmal so gut!) und mindestens hundert Gäste tummelten sich in den paar Zimmern. Langsam entrollte sich der Wahnsinn dieser Nacht – und deshalb lieben wir die Nächte ja so, sie haben Lustbarkeiten, Gelächter, Traurigkeiten, Höhen, Tiefen, Rausch und Liebe für Sekunden (oder Stunden) in ihren Mägen und wir müssen nur springen, springen, springen – in ihren Schlund. Man sage mir nicht, dies sei übertrieben. Ich habe Menschen gekannt und kenne solche, die kaum mehr hinauskommen – die Bestie hat sie im Griff und das springen ist ihr Leben geworden.
Im Gegensatz zum ersten Besuch bei diesem Salon entwickelten sich nur wenige lange Gespräche, erst spät in der Nacht wurde es intimer, erst einmal strömten die Menschen nur so hinein, lassen Sie es dreihundert gewesen sein am Ende, und das Ganze nahm die Form eines wirklich privaten Clubs an. Das war auch der Moment wo die spanische Band Guaka anfing zu spielen. Nach Auskunft eines Freundes hörte man sie (bei geöffneten Fenstern, oh, oh) drei Häuserblocks weit. Am Tag zuvor hatten sie ein Engagement im Zapata, die Berliner unter Ihnen werden es wohl zumindest dem Namen nach kennen, jetzt brachten sie ein enges, ausgelassenes, flirtendes und küssendes Menschenknäuel zum brodeln. Über Stil und Qualität kann ich gar nicht wirklich viel sagen, es war mir zu voll, ich hielt mich in der Küche auf, redete mich fusselig, flirtete mit der Hauptdarstellerin meines Filmes, steckte meinen Kopf durch einen leeren Bilderrahmen, suchte nach immer neuem Wein (ja, ich hatte leichte Kopfschmerzen am nächsten Tag, danke, aber wissen Sie, wo Sie schon fragen: man muss die Feste feiern, et basta!) und traf Lorena wieder, die sympathischste kleine Peruanerin der Welt und ein verdamm professionelles Mädel. Zwei Wochen später hat sie an einem Abend bravourös die Continuity für eine Aufnahme besorgt. Wie Sie, lieber Leser (auch wenn Sie manchmal ganz schön frech sind) vielleicht gemerkt haben, ist dieser Künstlersalon ein arg facettenreiches Fest. Es treffen sich Künstler und solche, die auf dem Weg sind, es zu werden, tauschen sich aus, reden über projekte, ja manchmal entstehen gar neue! Dazu kommen die Bilder, Freunde und Bekannte von Künstlern sowie eine Reihe von Menschen aus Burgys im dunkel der Zeit verschwimmenden Vorleben (der Gute wurde 30 und wir prosten ihm hier an dieser Stelle noch einmal zu – Burgy, auf dich!), über das zu berichten mir nicht zusteht.
Der Salon ist sowohl Kontaktbörse wie auch ein brodelnder Topf von Ideen, ein Zusammenstoß aller Richtungen von Kunst miteinander und mit Menschen, die einfach nur ausgehen, trinken, Spaß haben. Es sind so Abende, an denen man sich verlieben kann – in eine Frau, die Nacht im Allgemeinen, in Berlin, das Leben. Die Möglichkeiten sind da recht vielfältig. Auch der begriff Salon – also Wohnzimmer – bekommt ein neues Feld, auf dem es spielen darf: die des ausgelassenen Gelages in privatem Rahmen. Niemand von Ihnen denkt jetzt hoffentlich noch an Kammermusik, Spinett und Birkenstocks. Betrunken sangen wir am Ende zu Rainers Gitarrenspiel ewige Klassiker der Populärmusik. Da war es vier, halb fünf, der Alkohol aufgebraucht, die Luft zigarettengeschwängert, die Ecken mit sich knutschenden Fremden belegt. Gibt es ein besseres Zeichen für gelungene Feste, als gemeinsames Singen in Trunkenheit und ein ineinanderfallen von sich eben noch fremden Hirnen und Körpern in libidinöser Alkoholverwirrung? Ich brach mit der Schauspielerin auf und wir brauchten fast noch eine halbe Stunde, um uns wirklich loszueisen. Im Treppenhaus, an der Haustür, auf der Straße: überall begann noch ein neues Gespräch mit neuen, alten Bekannten, schon Wehmut durchsetzt, bevor wir uns, allein, zu zwein, in alle Richtungen verstreuten.
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