Über den Nutzen und Schaden von Lügen in Kunst und Gesellschaft
Das Ich und die Gesellschaft – eine semi-psychologische Einführung
Die Kunst als intelligentes & kultiviertes Spiel für erwachsene Eliten
Wir halten fest: Ohne Lüge funktioniert weder unser Selbstkonzept, noch unser Freundeskreis oder die Gesellschaft. Auch im Kunst-Markt lügen alle irgendwie. Fangen wir bei der Kollektivlüge an: Das Original. Das Original ist das Original, es ist einzig und sogar die eineiige Schwester des Originals küßt anders. Aha! Jedoch bereits die alten Meister hatten Werkstätten, in denen „ihre Originale“ von ihren Helfern zu wechselnden Anteilen gefertigt wurden. So können die ersten Manifestationen von Ideen, die Entwürfe und Skizzen zu ganz besonderen Bildern durchaus mehr original (vom Meister) sein als ihre resultierenden Ölbilder. Weiter: Ist ein sehr ähnliches Bild ein Plagiat? Das Original ist ein präziser Begriff mit dem wir uns alle selbst belügen, um ein spannendes und hoch kultiviertes Spiel spielen zu können: den Besitz von etwas Einzigartigem mit kultureller Bedeutung. Das ist – wenn man es sich bewußt macht – tatsächlich etwas sehr Besonderes. Das Kunstwerk gehört nicht nur der mythischen Struktur (manifestierte Legende) sondern auch der magischen Struktur an (Artefakt). Es sagt: „Ich bin kultiviert, weil ich Kunst bin.“
Künstler verstecken ihr Erzeugnis auch gern hinter dem stets jungfräulichen Tuch des Unverständlichen. „Nein, das sind nur ein paar Punkte, hier handelt es sich um ein Mißverständnis auf Leinwand, junger Mann.“ Wer traut sich das, denn das Szenario erinnert an das Märchen von des Königs neuen Kleidern. Die Widerlegung ist eine Frage des guten Geschmacks, er kann jedes Werk enttarnen. Nach dem Künstler kommt sofort der Galerist. Hier reiht sich bereits die zweite große Lüge an, die Fortschritt-Lüge-des-Entdeckens. Ist das Kunstwerk wirklich bahnbrechend NEU und somit im engeren Sinne Kunst, ist es praktisch unverkäuflich. Alle Freunde des Käufers stehen perplex und drohend vor dem neuen Werk: „Mann was für eine Scheiße ist das denn“ sagen sie ganz ehrlich, oder höflicher: „Den Künstler kenne ich nicht, wer oder was ist das.“ Das Kunstwerk darf also nicht revolutionär sein, muß aber um so mehr Wiedererkennungswert zu seiner Marke haben, um auf den Betrachter, der es ja „einordnen“ will in bekannte Denkmuster, nicht verunsichernd zu wirken – nicht unberechenbar, das ist unhöflich. Das Etikett enthält: kultiviert, einmalig und besonders, weil von XY. Sobald ein Galerist also sagt: „entdecken“ und hiermit „Das Neue“ impliziert, lügt er mit großer Wahrscheinlichkeit. Kunst ist eine positive Referenz. Also Kunst an die Wand, das ist dekorativ (nicht nur im Sinne von schön) und nebenbei spricht sie auch mit ihren Betrachtern über ihre oft existenten Inhalte. Baaam, das gefällt mir, kaufen. Zack, Nagel mit Hammer in Wand, Bild in Rahmen, Rahmen an Wand – fertig; gut ist das: Jetzt hängt ein Kulturzertifikat an der Wand und es gefällt mir.
Über den Autor:
Burgy Zapp hat Soziale Verhaltenswissenschaften, Philosophie und Statistik studiert und ist als Wissenschaftsjournalist, Schriftsteller und Künstler in Berlin tätig. Als privater Gastgeber und Kurator des Künstlersalon Berlin ist er eine Konstante des Berliner Kunst-Betriebs. Mit den 7 Kunst-Theorien entwickelte er ein System der Wissenschafts-Wissenschaften zur Betrachtung und Entwicklung von Kulturgut. burgyzapp.de
Veröffentlichung
Dieser Artikel wurde erstmals im Morgenstern Journal veröffentlicht. Morgenstern Stiftung – Journal
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