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Stichwörter: Figurative Malerei, Interview, kunst, künstler, Schädel, Schädelwald, skulptur
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Wir alle zusammen sind nur ein Säugling … Des Irrsinns, mit oder ohne Blumenerde
Autor Burgy ZappSummaryVor ungefähr 15 Jahren hatte ich auf einmal die fixe, etwas irre Idee, ich müsste mir unbedingt einmal unter dem Einfluss eines LSD-Rausches den „Isenheimer Altar“ in Colmar von dem Maler Grünewald anschauen.Burgy Zapp: Lieber Schädelwaldt, woher kommt dieser doch sehr markante Name?Schädelwaldt: Das ist eine lange Geschichte. Vor ungefähr 15 Jahren hatte ich auf einmal die fixe, etwas irre Idee, ich müsste mir unbedingt einmal unter dem Einfluss eines LSD-Rausches den „Isenheimer Altar“ in Colmar von dem Maler Grünewald anschauen. Meine damalige Freundin, eine sehr zarte Schweizerin, die an einer mittelschweren Dauerdepression krankte, wollte unbedingt mit. So kamen wir beide, ich im absoluten Farben – und Gehörrausch und sie etwas leicht traurig abgedreht in dem kleinen Bürgerstädtschen Colmar an. Die Sonne war angenehm warm und der Tag im ganzen sehr freundlich. Was mich dann nach einer Weile aber als Erstes total verunsicherte war der zunehmende Strom an Touristen, der uns beide immer mehr in die Mitte nahm. Wer selbst einmal LSD in bester Qualität eingenommen hat, weiß, dass Menschenmassen etwas sehr Bedrohliches bekommen können. Ich fing an mich ein wenig zu jucken und Saskia meine Freundin fand das Alles nur noch zum Würgen. Aber der „Isenheimer Altar“ musste sein. Mit diesen also immer so gut gelaunten Butterbrot – und Rucksacktouristen zusammen in das Museum Unterlinden zu Grünewald hin, das war unser Schicksal nun.
Der Altar selbst war dann ein Erlebnisschock. Diese grandiose, brutale, so wunderbar grausame Kreuzigungsdarstellung machte mich absolut sprachlos. Keine Kreuzigung in der abendländischen Malerei ist so verwesungssehnsüchtig gemalt worden. Grünewald scheint sich hier selbst mit einer Lust aus Wahnsinn in die Geschichte von Jesus genagelt zu haben. Und die anderen Altartafeln sind so farbenmächtig und verrückt zu Ende gedacht worden, dass sich hier schon fast alle surrealistischen und expressionistischen Elemente angedeutet vor uns auftun. Aus lauter Begeisterung, wie aus dem Altarbild geschossen, kam ich auf die Idee, mich Schädelwaldt zu nennen. Ja, so merkwürdig das auch klingen mag.
BZ: Welche emotionalen Prozesse durchleben Sie bei der Gestaltung von Menschenschädelbildern?
SW: Nun, jeder Schädel, der verarbeitet werden soll, wird erst einmal ein bisschen gestreichelt und geküsst. Das brauche ich so, um gut in die Malerei rein zu kommen. Erotisches Weltverschwinden. Die Alltäglichkeit (Das hässliche Sinnlose) muss in den inneren Zustand einer Gegenwelt (Das schöne Sinnlose) verwandelt werden. Alles „Schöne Sinnlose“, was wir mit tiefer Hingabe tun, ist, so glaube ich, erst einmal eine Art unbewusster, sphärischer Geschlechtsakt, Loch – oder Schwanzsuche in den Sternen, Erlösungshoffen. Für mich bedeutet das, um nicht nur in einer Träumerei zu bleiben, da ich von meiner Veranlagung her zur Depression neige, dass ich die Depression in eine für mich bessere und angenehmere, in eine leichtere Depressionshöhe bringe, also in schöne Depressionsbilder umsetze. Das meiste daran ist natürlich harte Arbeit, aber es ist dann ganz allein meine Bestimmungslust, wann und wie ich meine depressive Trägheit mit was für einem Tun des Intuitiven überrasche. Klassische Musik, sehr leise abgespielt, rauscht meistens während des Malens durch den Raum. Nach der Beendigung des Malens, meist gegen 4 Uhr in der Nacht, das heißt, die Arbeit ist für mich bis zur letzten Vollendungssekunde auf gleich hoher Konzentration geblieben, höre ich oft bis zur Schmerzgrenze Rockmusik oder ähnlich Körperliches, alles, was meine Nachbarn bis zum Wahnsinn treibt. Ich bin dann für eine halbe Stunde kein guter Mensch mehr.BZ: Haben Sie neben Grünewald noch andere Impulsgeber aus der Kunstgeschichte?
SW: Ja, natürlich. Die Kunstgeschichte wird mit jedem selbst gemalten Bild spannender und zu gleich auch schwieriger. Es ist ja meines Erachtens so, das, was wir heute malen, tun, war vorher alles einmal in weniger verbrauchter Form schon da. Wir verlängern ja nur noch. Das, was wir vielleicht als eine Art von Ursprungsgenialität bezeichnen können, verschwindet in der Moderne immer mehr. Für mich als Figuren – oder Bildnismaler heißt das, Grünewald, Goya, El Greco, Caravaggio, Pontormo, Andrea del Sarto, C. D. Friedrich, Schiele, Modigliani, F. Bacon, Nicolas de Stael, Auerbach, Wols, Fautrier und ganz besonders den von mir am meisten geschätzten A. Giacometti nur noch schlechter nach machen zu können. Mehr ist für mich nicht möglich. Die Kunstgeschichte sagt mir sozusagen: „Ich darf nicht mehr genial sein.“ Aber diese oben genannten Künstler haben mich natürlich dahin gebracht, wo ich heute stehe. Was die Malerei (mit Ausnahme der rein realistischen, fotografischen Malerei) ganz besonders auszeichnet und sie ganz im Gegensatz zu der Fotografie für mich spannender gemacht hat, ist ihre intuitive Mehrschichtigkeitsmöglichkeit als erstarrte Beweglichkeitsform. Dieser Widerspruch kann in der Malerei am intuitiv tiefsten ausgetragen und aufgehoben werden. Ich möchte hier Marcel Proust zitieren: „Die Menschen verändern uns gegenüber unaufhörlich ihre Position. In der zwar unmerklichen, aber unablässigen Bewegung der Welt betrachten wir sie in einem Augenblick, der zu kurz ist, als dass wir die Bewegung feststellen könnten, die sie vorantreibt, als unbeweglich. Wir müssen jedoch aus unseren Erinnerungen nur zwei zu verschiedenen Zeiten aufgenommene Bilder auswählen, die für so weit ähnlich sind, dass sie sich an sich nicht verändert haben, zumindest nicht merklich, und der Unterschied zwischen den beiden Bildern wird zu einem Maßstab für die Veränderung, die sie uns gegenüber vollzogen hat.“ Dadurch erklärt sich auch seine Abneigung gegen den photographischen Realismus. Zu Recht, wie ich finde.BZ: Zurzeit erobert die Neo-Gothic-Ästhetik den Kunstmarkt, was denken Sie darüber, den Sie, wie ich weiß, schon seit über 15 Jahren als Thema verarbeiten?
SW: Als Neo-Gothic-Künstler sehe ich mich nicht unbedingt. Ich will eigentlich nur den Begriff der Depression etwas näher an die Kunst ran bringen. Das heißt, ich male nicht nur das Bildnis oder das abstrakte Porträt, sondern immer das Depressivbildnis oder das abstrakte Depressivporträt. Eine kleine Veränderung nur, aber eine wichtige vielleicht.
BZ: Wenn man sie manchmal reden hört – mehr außerhalb eines Interviews, unter Freunden und Künstlerkollegen zum Beispiel – könnte man annehmen, der Wahnsinn beflügle Ihre Fantasien, stimmt das?SW: Das täuscht ein wenig, der Wahnsinn an sich ist ja etwas absolut Grauenhaftes. Der Wahnsinn lässt ja keine Struktur mehr zu, er ist die brutalste Form der Verwahrlosung. Ich spiele nur damit, das aber ganz gut, weil ich depressive Züge habe, und weil ich weiß, die Nähe zum Wahnsinn kann einem Kunstwerk manchmal das Letzte geben, was unter gesünderen Umständen vielleicht fehlen würde. Nur eine Romantisierung des Wahnsinns lehne ich vollkommen ab. Wer aber als der Philosoph oder der Künstler sollte sich sonst mit dem Wahnsinn in metaphysischer Weise auseinander setzten? Denn jede Zeit hat ihren ganz eigenen Wahnsinn, der erklärbar gemacht werden sollte. Der Künstler, so darf man das schon sagen, muss überall, von der Mitte bis zu den Rändern hin, der mehr oder weniger geordneten Weltstrukturen, Risse schlagen, Fragen aufbrechen. Es ist das Wesen der Künstlers, neue Räume zu betreten und zu betrachten und dann zu erforschen. Antonin Artaud, ganz sicher ein Genie, also ein Erneuerer, anders als Kafka und Beckett, aber immer mit ihnen nahe am Wahn des Grausamen und Absurden sagte dazu: „Ich anerkenne, was mir passt, und nicht, was auf der Linie liegt.“
BZ: Können Sie das genauer erklären?
SW: Das ist sehr schwer. Der Geniebegriff, den wir einmal hatten, funktioniert heute so nicht mehr. Allein, dass der Glaube an das Geniale brüchiger geworden ist, ja, teilweise von den Intelligentesten selbst aus philosophischer Sicht abgelehnt wird, ist ein fast vollkommener Verlust des Geniekults. Was aber, glaube ich, geblieben ist, vielleicht auf einer immer dünner werdenden Eisgeistfläche, ist immer noch die Aufgabe nach einer Wirklichkeitslücke des Wahnsinns zu suchen, um darin neue Krankheitsräume (Krankheitsmeter in Sekunden gemessen)) zu betreten, die vorher so noch keiner aufgemacht hat. Einfacher ausgedrückt: es ist gut den neusten Wahnsinn seiner Zeit zu begreifen. Wer also die kranke Wirklichkeitslücke seiner Zeit, das Zukünftigste am deutlichsten gezeigt und mit Beweiskraft gefüllt hat, der dürfte auch heute noch als Hochbegabung gelten. Die Kunstgeschichte wird angeführt von Künstlern, die Erster einer Bewegung und damit auch immer in den ersten Sekunden ihres Wissens Außenseiter waren. Und heute, wo sich alles scheinbar zu schnell selbst überholt, es fast keine erklärbaren Sekunden der Freiheit mehr gibt, Vorsprünge immer schneller sterben, was bleibt da? In universell mehr und mehr abgenutzter, wiederholter Erklärungsform, auf fast romantische Art und Weise wieder, bleibt die Zeit trotzdem die einzige Richterin über die Dinge und Geschehnisse, die höchste Naturgesetzgeberin also, und erklärt die vom Künstler zuerst erkannten Verhältnisse dann später für die Masse immer noch nach, die in ihrem Erkennen immer etwas hinterher hinkt. Vielleicht kann man es etwas überspitzt so ausdrücken: die glücklichste/unglücklichste Form der menschlichen Begabung war das Genie, das Genie allein lebte oft in einer halb abgeschlachteten Erkenntnisgröße, am offenen heiteren Depressionsfenster der toten Zukunft, die man Utopie oder Vision nannte. Alles, was ich sage, ist natürlich nur Behauptung. Die Beweisfähigkeiten verschwinden in dieser Welt nämlich immer mehr.
BZ: Kommen wir noch einmal auf die Menschenschädel zurück. Warum seit fast 20 Jahren und warum auf jedem Bild oder jeder Zeichnung?SW: Die für mich einfachste Antwort, ich mag die alten Knochengefäße bis zur Bewunderung. Rosen von umgedrehten Schädeln aus dem Genickloch aufrecht in den Himmel gehalten, ist das nicht ein schönes Bild. Wenn man einen Schädel durch eine abendliche Regenpfütze im Mondglanz rollen lässt, oder als Abschlagsplatz für einen Golfball begreifen würde, dazu ein herbstlicher Trakl-Gesang eine gute Flache Rotwein, überall eine geschlechtsweiche Skeletteinsamkeit ausbrechen würde, was für ein menschlicher Fortschritt wäre das, großartig. Die für mich lustigste Antwort darauf lautet immer. Wenn man mit einem Frauenschädel Sex hatte, weiß man mit aller Sicherheit, es folgt keine Schwangerschaft darauf. Für jemanden der keine Verantwortung übernehmen will, das Beste, was möglich ist. Doch Spaß beiseite. Wir leben in der reinsten Todeskultur. Die Moderne verfeinerte das „Sterben Müssen“ zwar immer mehr, aber der Tod bleibt auch in der längsten Lebensverlängerung trotzdem der Schlusspunkt und genau dort fängt unsere aller Lebenswahnsinn immer wieder von hinten nach vorne zurück blickend an, mit einem Erinnerungsschädel. Altersschädel. Erwachsenschädel. Jugendschädel. Kinderschädel. Säuglingsschädel. (Embryonenschädel, Fötenschädel). Wir alle wandern nur die verschiedenen Entwicklungsstufen des Schädels in uns einmal bis zum Ende hin ab, und dann wenn das Schicksal es will, noch einmal wieder intuitiv empfindlicher zurück. Jede Lebenssekunde ein Laufmeter und damit ein – bis zwölf Menschenschädel also, je nach Alter. Und genau dort, wo der Tod am meisten verdrängt wird, genau dort, lebt er auch am deutlichsten. Und der Menschenschädel ist ein weltweites Symbol, das überall mit wenig unterschiedlichem Gehalt verstanden wird. Ein Globalsymbol sozusagen. Das war für mich, neben der rundlichen Trauerschönheit, ein sehr interessanter Aspekt. Das mit mir als Künstler unter dem Namen „Schädelwaldt“ verbunden, fand ich einfach sehr spannend. Außerdem, es war für mich schon vor mehr als 20 Jahren absehbar, dass der Menschenschädel an intuitiver Weltbedeutung, zunehmen wird. Was soll ich noch mehr dazu sagen.
Fotoshoot
Ergänzend zu dem Interview fand im Januar 2008 ein Thinktank (Schädelwaldt & Burgy Zapp) in Schädelwaldts Atelier statt. Inspiriert von der Umgebung der Schädelwerkstatt ist spontan ein Fotoshoot entstanden, die Bilder können im folgenden eingesehen werden. -
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