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Stichwörter: Fotografie, künstler, malerische Fotografie, Tom Bäcker
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Über die Entstehung der malereirealistischen Fotografie
Autor Burgy Zapp
SummaryMein Hauptaugenmerk lag von Anfang an auf Strukturen und Abstraktionen, insbesondere geometrischer Art mit einem klaren Schwerpunkt in der Architektur. Gerade hier bieten Flächen, Winkel, Formen eine Grundlage malerisch anmutender Kompositionen, wie man sie atmosphärisch von Feininger, Kandinsky oder auch Moholy-Nagy kennt. Bauhaus-Einflüsse sind ebenfalls unverkennbar. Die Grenze zwischen Malerei und Fotgrafie wird hier für den Rezipienten fließend und verwischt. Ähnlich dem Maler, der auf einen möglichst fotorealistischen Ausdruck abzielt, versuche ich die malerischen Aspekte in der täglichen Wahrnehmung fotografisch zu transportieren. Daher also malereirealistische Fotografie.Burgy Zapp: Wie bist Du zur Kunst gekommen?Tom Bäcker: Ich hatte einige Jahre mit kellnern und langen Reisen verbracht – Sommer kellnern, Winter reisen. Dabei hatte ich das Schreiben für mich entdeckt und war zu der Überzeugung gelangt, dass ich damit eines Tages mein Brot verdienen würde. Zwischenzeitlich hatte es mich in meine grosse Liebe Berlin verschlagen – die Stadt hatte mich immer fasziniert. Und immer dachte ich, wenn ich in Berlin unterwegs war: ‚Irgendwann möchte ich diese Stadt fotografieren‘. Da war ein ganz tiefes Gefühl, überall sah ich Motive. Dann kam der Tag, als ich mal wieder einen Kellnerjob hingeschmissen hatte. Ich hatte wieder etwas Geld für die nächste Reise an die Seite gelegt und dachte: „Und jetzt machst Du mal erstmal gar nichts, geniesst den Sommer, kommst mal endlich in Berlin an und schaust mal, was passiert.“ Wenn man in der Gastronomie arbeitet, ist es immer das gleiche: Du arbeitest bis spät in die Nacht, gehst noch bis früh morgens aus, hängst den Tag durch bis zur nächsten Schicht und an deinem freien Tag, bist Du froh, wenn du keine Leute sehen musst und einfach einen Film schauen kannst. Bei mir kam dann noch das Reisen dazu, deshalb fühlte ich mich nie in Berlin agekommen. Und da lag also dieser fantastische WM-Sommer 2006 plötzlich zur freien Verfügung vor mir. Gerade erst hatte ich mir eine kleine Casio-Exilim-Kompakt-Kamera gekauft. Die wurde nun zu meinem ständigen Begleiter und ich begann, all die Motive, die ich sonst immer nur in Gedanken gefangen hatte, digital abzulichten.
Burgy Zapp: Du sagst, Du hast Dir einfach eine vollautomatische Kamera gekauft, Dir eine Auszeit genommen und bist mal eben zum Künstler mutiert?
Tom Bäcker: Klingt absurd, oder? Fast zu banal, zu simpel, um wahr zu sein. Aber runtergebrochen war es letztlich wohl so. Natürlich ist es komplexer. Ich denke, es lag schon immer ein grosses kreatives Potenzial unter dem Deckmantel Alltag verborgen. Auch auf das Schreiben war ich ja erst auf den Reisen jenseits von Alltag gestossen. Nun schien es also die Fotgrafie, die bildende Kunst zu sein – nicht das Schriftsteller-Dasein.
Burgy Zapp: Aber es ist ja nicht einfach damit getan, Fotos zu machen. Wo hast Du Deine Bestätigung, Dein Wissen bezogen, dass das, was Du da tust, eine besondere Qualität hat? Du wirst wohl kaum vor Deinen Bildern gestanden, Dir auf die Schulter geklopft haben und gesagt haben „Geil, jetzt bin ich Künstler!“ Dazu bedarf es doch eines bisschen mehr, oder nicht?
Tom Bäcker: Natürlich fand ich meine Bilder auch selber gut – sonst macht man sie ja gar nicht erst – das wäre ja widersinnig. Aber die letztliche Erkenntnis kam tatsächlich erst, als ich den Schritt wagte, die Bilder mal anderen Menschen als nur Freunden zu präsentieren.
Burgy Zapp: Wobei Du natürlich über keinerlei Kontakte zur Kunstszene verfügtest. Wie hast Du dies also bewerkstelligt?
Tom Bäcker: Ich glaube, das Wort Kunstszene war mir zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Begriff und genau das hat mir auch eine gewisse Unbefangenheit gegeben, die ich mir zum Teil glücklicherweise bis heute erhalten konnte. Kunstzene war mir also völlig egal, jedoch erinnerte ich einen Fotografen auf dem Flohmarkt am Mauerpark, der dort Schwarz/Weiss-Abzüge verkaufte. Also beschloss ich, mein Glück auch mal dort zu versuchen. Und das war der Moment der Momente! Menschen kauften Produkte meiner Wahrnehmung und wollten auch noch, dass ich sie signiere. Ich verkaufte ein Drittel der mitgebrachten Abzüge. Ein schier unglaubliches Gefühl. An diesem Sonntag wurde mir klar: „Ich bin Künstler und hier und heute habe ich meine Karriere als Künstler begonnen!“ Es war wie eine Erleuchtung, ein Gefühl von Angekommensein, das Ende einer langen Suche. Und in der Tat fühle ich mich seit dieser Erkenntnis tatsächlich erst erwachsen!
Burgy Zapp: Obwohl es ja eigentlich heisst, dass man gerade als Künstler nicht wirklich erwachsen werden und immer das Kind in sich pflegen soll…
Tom Bäcker: Für mich kein Widerspruch. Erwachsen sein bedeutet für mich lediglich, zu wissen, wo man steht und wer man ist, seinen Platz gefunden zu haben und mit sich selbst im Reinen zu sein. Vielleicht könnte man das auch als Reife bezeichnen – ist auch so ein abstraktes Wort wie „Erwachsen“. Erwachsen sein heisst aber nicht, dass man das innere Kind total ausschalten muss, eher im Gegenteil hat es erst dann den Freiraum sich auszutoben, wenn man aufgehört hat, permanent sich selbst zu hinterfragen.
Burgy Zapp: Im Mauerpark bist Du meines Wissens immer noch regelmässig zu finden. Aber mittlerweile hast Du es auch zu ersten Ausstellungen gebracht und lebst vollständig von Deiner Kunst. Wie ging Dein Weg weiter?
Tom Bäcker: Schwierig, das in ein paar Sätzen runter zu reissen. Ich habe tatsächlich ziemlich schnell nach diesem Erweckungsmoment ein Gewerbe angemeldet. So überzeugt war ich von dem, was ich tat. Genau so schnell hatte ich beschlossen, Postkarten zu machen.
Burgy Zapp: Postkarten? Vermutlich nicht Brandenburger Tor in Hochglanz, oder?
Tom Bäcker: Genau das war ja der Punkt: Ich fand die Postkarten-Landschaft immer langweilig und eingestaubt und hatte auch im Mauerpark festgestellt, dass die Leute dankbar für neue Sichtweisen waren. Meine Berlinansichten waren anders. Aus anfänglichen 16 Motiven sind mittlerweile rund 160 geworden. Ich habe einen klaren Schwerpunkt „Typografie“ herausgearbeitet und mittlerweile zumindest zwischen Prenzlauerberg und Kreuzberg eine gewisse Minimalprominenz mit meinen Karten erreicht. Selbst bundesweit und in der Schweiz gibt es einige Läden, die meine Karten im Sortiment haben.
Burgy Zapp: Wie muss man sich das mit der Typografie vorstellen?
Tom Bäcker: Ich fotografiere Worte. Genau genommen abstrahiere ich sie aus ihrem eigentlichen Kontext. Zum Beispiel habe ich aus dem zoologischen Garten das „logisch“ ausgeschnitten oder an anderer Stelle von Lebensmittel das „Leben“. Worte sind überall: Werbetafeln, Leuchtreklamen, Aussenwerbung, Schilder. Wir sind umgeben von Typografie. Was meine Motive ausmacht, ist, dass ich meist nur ein Schlagwort vorgebe, das möglichst auch noch irgendwie ästhetisch einbinde, und genug Raum zu eigenen Interpretationen lasse. So hat jeder seine ganz persönlichen Assoziationen und meine Karten werden Karten zu den unterschiedlichsten Anlässen. Dabei entstehen kuriose Situationen, dass z.B. ein und die selbe Karte als Hochzeits- oder Trennungskarte durch geht. Ich habe Stammkunden und Sammler, Menschen die mir begeistert erzählen, was ihnen meine Karten bedeuten und dass sie zu Hause den ganzen Flur damit dekoriert haben. Ich glaube, als Künstler kann man kaum mehr Menschen erreichen, als mit einem Ein-Euro-Produkt.
Burgy Zapp: Du revolutionierst also den Kunstmarkt mit Postkarten?
Tom Bäcker: So weit würde ich vielleicht nicht gehen, aber ich verkaufe lieber 1500 Postkarten a 1 Euro und bekomme 1500 mal Bestätigung, als dass ich mühevoll ein Bild im gleichen Wert verkaufe. Daher denke ich manchmal schon ernsthaft darüber nach, all meine Kunst nur noch in Postkartenform zu verkaufen.
Burgy Zapp: Stichwort „all meine Kunst“. Diese Postkarten-/Typografie – Seite ist nur eine Hälfte von Tom Bäcker. Ich kenne z.B. eigentlich eher andere Arbeiten von Dir…
Tom Bäcker: Dir sind eher meine abtsrakten Arbeiten geläufig. Was auch daran liegt, dass ich meine Postkarten lange Zeit als Kommerz abgestempelt habe und sie für mich nicht vollständig als Teil meiner Kunst verstanden habe. Das war ein Fehler. Mittlerweile sehe ich die Karten – die ich ja auch auf dem Markt als Fotoabzüge anbiete und verkaufe – als vollwertigen Teil meines kreativen Schaffens, der immerhin auch hauptsächlich für meinen Lebensunterhalt verantwortlich zeichnet. Interessanterweise hat sich mein Erfolg immens potenziert, seit ich diesen Zusammenschluss geistig vollzogen habe.
Burgy Zapp: Der Zusammenschluss liegt auf der Hand: Der gemeinsame Nenner ist die Abstraktion…
Tom Bäcker: Ganz genau. Ob ich Formen und Flächen oder Worte aus dem Lebensraum Stadt abstrahiere, bleibt sich gleich. Letztlich geht es um Abstraktion. Oft fließt hier auch mittlerweile das eine in das andere.
Burgy Zapp: Nun haben Deine Abstraktionen für den Betrachter oft etwas verwirrend Malerisches. Ähnlichkeiten zum Konstruktivismus oder auch Bauhaus sind auffällig…
Tom Bäcker: Das Malerische war mir von Anfang an ein tiefes Bedürfnis. Daher ist es natürlich auch nicht ganz ernst gemeint, wenn ich sage, dass ich alle meine Kunst auf Postkarten drucken will. Viel zu sehr hänge ich dafür an Großformaten und denke in Großformaten. Ich mag die Verwirrung des Rezipienten, wenn er offensichtlich über die Technik des Werkes grübelt und dann zu seiner völligen Überraschung feststellen muss, dass es sich um Fotografie handelt. Es gibt den Begriff fotorealistische Malerei, warum redet keiner von malereirealistischer Fotografie? Sicherlich ist es weit schwieriger fotorealistisch zu malen als umgekehrt. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass auch dem Gegenpol, nämlich der malereirealistichen Fotografie Beachtung geschenkt werden sollte.
Burgy Zapp: Hast Du Vorbilder oder Idole? Siehst Du Ähnlichkeiten zu großen Künstlern in Deinen Arbeiten?
Tom Bäcker: Das sind doch immer alles nur Verpackungen. Ob jetzt jemand Kandinsky, Feininger oder Moholy-Nagy, Bauhaus oder Kostruktivismus erkennen will, ist mir ehrlich gesagt egal. Genau wie ich aufgrund meines Erscheinungsbildes schon für David Bowie, Campino oder Anthony Keades von den Red Hot Chili Peppers gehalten wurde. Da kann ich nur sagen: Hallo – Ich bin’s – Tom Bäcker – seht doch mal einen Tom Bäcker. Letztlich sind es doch immer nur besetzte Begrifflichkeiten.
Burgy Zapp: Was, würdest Du sagen, waren die entscheidenden Aspekte deiner bisherigen Künstlerkarriere und wo will Tom Bäcker noch hin, was möchtest Du noch erreichen?
Tom Bäcker: Beharrlich bei der Sache bleiben und Ziele verfolgen, eine konsequente Linie gehen, zumindest so, dass es sich zu dem jeweiligen Zeitpunkt richtig anfühlt. Überhaupt ist es wichtig, auf seine Intuition zu hören, nichts zu tun, was sich nicht gut anfühlt, was man immer wieder vor sich her schiebt. Alles hat seinen richtigen Zeitpunkt.
Burgy Zapp: Und die Zukunftspläne?
Tom Bäcker: Na, ja – langfristig hat sich eigentlich nicht viel an meiner Antwort geändert, die ich auf die Frage nach dem „Wohin“ vor rund vier Jahren kurz nach meiner künstlerischen Selbstentdeckung gegeben habe. Die lautete damals: „Guggenheim“.
Burgy Zapp: Ich bedanke mich herzlich für das Interview. -
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